Déjà-vu
Autor: McFlurry

Déjà-vu

„Und dies, meine Damen und Herren, ist die Zitadelle von Hyrewich, vor vielen Jahrtausenden „Hyrule“ genannt… Früher wurden hier die Götter geehrt, Messen und königliche Zeremonien abgehalten und manchmal sogar Menschenopfer gebracht, um den Zorn der Göttinnen zu besänftigten. Das ist das Portal, durch das Ganondorf einst ins so genannte „Heilige Reich“ eindringen konnte…“ Der Reiseleiter gähnte laut, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. „... Hier sind auch die drei Steine, die einst als „Heilige Steine“ verehrt wurden und die der Herr der Zeiten damals benutzt haben soll um zum Masterschwert zu gelangen… Aber die können wir leider nicht sehen.“ Er machte diesen Job seit Jahren, und dass man ihm nicht zuhörte, war er gewohnt. Eigentlich kotzte es ihn richtig an, jeden Tag wildfremden Leuten ein und dieselben Dinge zu erzählen. Für einen kurzen Moment legte er eine Pause ein und lehnte sich gegen die Wand der Zitadelle, blickte frustriert in die Ferne. Irgendwie, dachte er, war sie hier fehl am Platz. Fast wirkte sie ein bisschen surreal. Eigentlich wirkte der ganze Platz an dem die Zitadelle stand so. Da draußen, nur einen Katzensprung entfernt, war die Einkaufsstraße von Hyrewich, doch der Lärm der vielen Menschen und Autos drang hier nur sehr leise und gedämpft durch. Stattdessen sauste der kühle Vormittagswind durch die Birkenbäume und ließ die Blätter rascheln. Hier lag der Geruch nassen Grases und frischer Kastanien in der kühlen Herbstluft und die Sonne strahlte angenehm warm vom Himmel. Hinter der Zitadelle konnte man weit in der Ferne Hügel erkennen, der Rest war flaches Land. Am Himmel waren nur vereinzelt ein paar Wölkchen zu sehen. Der Reiseleiter hatte die Gruppe mit seiner unendlichen Langeweile angesteckt. Die Leute merkten noch nicht mal dass er aufgehört hatte zu reden. Warum sollten sie ihm auch zuhören? Wenn er selbst schon keine Freude an der Führung hatte, konnte er andere erst recht nicht begeistern. Stattdessen hatten sie sich wegen des stärker werdenden Windes fest in ihre Winterjacken gepackt, redeten laut miteinander über das schöne Wetter, andere Dinge und einige hatten sich Zigaretten angezündet. Ein kleines Kind leckte genüsslich an seinem Lolli. Sie hatten sich von dieser Führung sehr viel mehr erwartet. Nur ein junger Mann inmitten der Touristen zeigte jetzt reges Interesse und musterte das Gebäude fasziniert. Bis jetzt hatte er sich kein bisschen für „Faszination Hyrewich“ interessiert, doch jetzt wo das Interesse der anderen Leute erstarb begann seines hingegen aufzuleben!
„Hey! Sie! Entschuldigung“, rief er dem Führer zu und rückte sein schwarzes Beret zu Recht, „Kann man wirklich nicht in diese Zitadelle hinein?“
„Nein. Sie dürften, aber bisher hat es in der Tat noch niemand geschafft hier hinein zu kommen…“ seufzte der muskulöse Herr mit den kurzen Haaren resignierend und schüttelte den Kopf.
Dann musste es also diese Zitadelle sein die er gesucht hatte. Die Zitadelle wegen der er diese Reise überhaupt unternommen hatte. Endlich war er an seinem Ziel angelangt… und bald würde er um einiges schlauer sein.

„Ich möchte es probieren.“ Entschlossen trat der Mann aus der Menge hervor.
„Sie werden es nicht schaffen. Aber ich werde Ihnen nicht verbieten, es zu versuchen. Sagen Sie später nur nicht ich hätte es Ihnen nicht gesagt.“
Sie könnten es mir nicht verbieten.“
Gereizt knackte der Reiseleiter mit den Fingern. Da interessierte sich einmal jemand dafür was er zu sagen hatte, und dann war es so ein junger, frecher Schnösel.
„Nein. Könnte ich nicht. Wozu auch. Tun Sie was sie wollen.“ Gab er bissig zurück. „Das sowieso.“ Der junge Kerl lächelte freundlich. Trotzdem mochte der Fremdenführer ihn nicht. Das beruhte auf Gegenseitigkeit; trotzdem versuchten sie beide, freundlich zu sein. Einige Leute aus der Gruppe hatten die spannungsgeladene Unterhaltung zwischen dem jungen und dem alten Mann mitbekommen und das hatte ihre Neugierde geweckt. Was war zwischen den beiden los? Abwartend und mit erregtem Interesse beobachteten sie sie bei ihrer gereizten Konversation. Das Kind leckte weiter an seinem Lolli, die Frau im Wintermantel rauchte seelenruhig ihre Zigarette weiter.
Auch wenn es niemand zugegeben hätte wünschten sich einige insgeheim doch, dass sie sich vielleicht sogar hangreiflich wurden. Dann wäre an diesem langweiligen Vormittag wenigstens noch etwas Spannendes passiert.

Interessiert musterte der junge Typ das Tor der Zitadelle. Wenn sein Verdacht stimmen würde, wäre er der Erste seit Jahrtausenden, der dieses alte Gemäuer betreten würde. Alle Versuche davor oder gar die Versuche das Gebäude einzureißen waren bisher gescheitert. Er erinnerte sich an die vielen Berichte: Entweder waren die Ketten mit den Abrissbirnen kurz vor Einsatz durchgerissen; die Wägen hatten den Geist aufgegeben, oder die Leitern die man benutzt hatte um zu den hoch gelegenen Fenstern der Zitadelle zu klettern um sie einzuschlagen waren umgestürzt, was vor einigen Jahren sogar schon Schwerverletzte hervorgebracht hatte. Seitdem hieß es, dass sie verflucht wäre. Vielleicht wurde sie sogar wirklich von höheren Mächten beschützt. Jedenfalls war dieses Mysteriöse Gebäude als achtes Weltwunder in die Geschichte eingegangen, und irgendwann hatte man es aufgegeben, eindringen zu wollen. Auf dem Tor prangte in der Mitte groß das Symbol der Göttinnen, die die Menschen damals verehrt hatten: Drei Dreiecke, die zusammen in Form eines großen solchen, dem so genannten Triforce, angeordnet waren.
„Warum denken Sie eigentlich, dass gerade Sie es schaffen, hier hineinzukommen?“ fragte der Reiseführer interessiert, aber er bekam keine Antwort. Vorsichtig drückte der junge Mann seine Handfläche auf das göttliche Symbol und wartete angespannt für einige, stille Sekunden.

Aber nichts passierte. Aufgeben wollte er nicht. Stur ließ er seine Handfläche auf dem Tor. „Na? Scheint ja nicht so ganz zu klappen…“
„Abwarten. In der Ruhe liegt die Kraft.“ … Nein, es hatte wirklich keinen Sinn. Das war Selbstbetrug… der Verdacht des jungen Mannes hatte sich nicht bestätigt. Resignierend zog er seine Hand zurück und kratzte sich die juckenden Finger. Optimistisch lächelnd drehte er sich um zu den anderen Touristen, die unten bei der kleinen Treppe standen und steckte eine Hände in die Hosentasche ohne den Reiseführer eines Blickes zu würdigen: „Eigentlich bin ich froh dass es nicht geklappt hat, wissen Sie.“ Der Juckreiz ging nicht weg.
„Okay, was geht’s mich an…“ der gute Herr hatte sich jetzt selbst eine Zigarette angezündet und blies den Rauch aus der Nase aus, „Die Führung ist hier ohnehin zu Ende.“
Verdammt! Was zum…?“ Der Beretträger zog seine Hand wieder aus der Hosentasche und erstarrte. Seine Finger… das Jucken wurde schlagartig zu einem Kribbeln, und dann fühlte es sich an, als ob sie Feuer gefangen hätten. Er jaulte auf vor Schmerz und hielt sich die zitternde, verkrampfte Hand, die sich anfühlte als würde sie über offenem Feuer verbrennen. Die Menge tuschelte nur beunruhigt, anstatt irgendwelche Anstalten zu machen, ihm zu helfen. Ein kleines Dreieck glühte brennend heiß auf seinem Handrücken auf und begann, ein unglaublich helles Licht auszustrahlen.
„Mein Gott!“ schrie der Führer, seine Zigarette fiel ihm aus dem Mund – und dann ging alles rasend schnell.
Der gesamte Platz ging in einer Explosion grellweißen Lichtes unter.

Leute rannten schreiend durch die Gegend. Eine besorgte Mutter packte ihr laut weinendes Kind und schleifte es in Panik weit weg. Die Menschen kreischten ängstlich durcheinander und versuchten vom Ort des Geschehens zu fliehen. Der alte Mann warf sich zu Boden und drückte sich laut kreischend die Hände vor die geblendeten Augen.
Dann wurde schlagartig alles ruhig. Für eine Minute herrschte drückende Stille, die nur vom leisen Rauschen des Windes unterbrochen wurde. Der Reiseleiter war es, der vorsichtig als erster die Augen aufschlug und sich langsam aufrappelte. Der Verursacher der Explosion lag leblos am Boden.
„Verdammt.“ Er kniete sich zu ihm nieder. Diese Lichtexplosion hatte sein Beret weggefegt und seine blonde, verstrubbelte Frisur zum Vorschein gebracht. Auch wenn er den jungen Typen nicht leiden konnte, er würde nicht zulassen dass er hier starb. Oder etwa doch…? Für einen Moment hielt er nachdenklich inne – diese Situation… dieser Typ… Egal jetzt! Er hatte keinen Puls! In diesem Moment war der alte Herr froh, damals doch den Erste-Hilfe-Kurs belegt zu haben. Voller Konzentration begann er mit der Herzmassage.

Jetzt komm schon!“ fluchte er und machte energisch weiter, „Verdammte Scheiße!“ Plötzlich schnappte der Junge laut nach Luft und riss die Augen weit auf. Es waren wohl die ängstlichsten Augen, in die der Reiseleiter je geblickt hatte. Wie im Wahn stieß der junge Mann seinen vermeintlichen Retter von sich, rollte zur Seite und stand zitternd auf, ging oder besser gesagt taumelte nach hinten um Abstand zu gewinnen.
„Hey… Alles in Ordnung… Beruhig dich, ich will dir nichts tu…!“ Der Leiter versuchte, ruhig zu klingen, was ihm im Anbetracht der Geschehnisse nicht leicht fiel, aber dann verstummte er komplett. Der Junge. Er stand in der Zitadelle. Er war hineingetaumelt. Das Tor… er hatte es mit der Explosion geöffnet. Und keiner hatte es mitbekommen…
Ungläubig trat er ein, und spürte sofort wie kalt es hier war. Auf dem Boden lag ein alter, roter Teppich, der nach vorne führte; durch die hohen Fenster tauchte die Sonne den kargen, grauen Raum in seltsame Atmosphäre. Man spürte regelrecht, dass seit Jahrtausenden niemand mehr hier gewesen war. Es war unheimlich… die Einsamkeit schlug einem hier förmlich ins Gesicht. Gleichzeitig war dieser Ort… faszinierend…
Auch der junge Mann schien langsam zu realisieren, dass er soeben die Zitadelle geöffnet hatte. Ungläubig und verstört starrte er auf das glühende Dreieck auf seinem Handrücken. „Mein Gott. Ich hab mich nicht getäuscht…“ hauchte er und schüttelte nicht wahr haben wollend den Kopf. „Weißt du… die Ärzte und Psychiater wurden damals aus mir einfach nicht schlau… als ich mich bereits selbst aufgegeben hatte las ich dann durch Zufall in einem Geschichtsbuch etwas darüber. Dass man damals prophezeite dass die Wiedergeburt des legendären Herrn der Zeit ein dreieckiges Mal am Handrücken und immer wieder dieselben Albträume hätte. Genau wie ich. Das Schicksal der Welt wird von mir abhängen… ich bin der Herr der Zeit…
„Nun… wir alle haben unsere eigenen Probleme, nicht wahr?“ Der Fremdenführer klang emotionslos und monoton. „Ich kann dir nur danken dass du die Zitadelle aufgemacht hast... ich spürte schon immer dass es meine Bestimmung wäre, eines Tages in ihr Inneres vorzudringen.“ Er marschierte auf den Altar mit den Steinen zu und blickte ihn fasziniert an. „Nun… es wird Zeit.“ Seufzte der Tourist und schritt zerknirscht und doch voller Stolz zum Sockel des Schwertes.
„Was brächte es, meinem alten Leben nachzutrauern?“ Er lächelte traurig und blickte zu Boden, zog mühelos das prunkvoll verzierte Masterschwert aus seinem Stein. „Ich wurde auserkoren… Ich werde mich meinem Schicksal fügen. Ich habe eine Aufgabe.“ Tränen liefen seine Wangen hinunter auf die Klinge des Schwertes und tropften von dort zu Boden, gaben ihr einen starken, würdevollen Glanz. Voll Stolz hielt er das Masterschwert hoch in die Luft. Langsam schritt er, seine Waffe mit Grazie und Leichtigkeit tragend, am Gruppenführer vorbei, und merkte erst jetzt, wie abwesend und starr dieser vor dem Altar mit leeren Augen ins Nichts lächelte. In diesem Moment rieselte dem neugeborenen Helden eine Gänsehaut seine Arme und seinen Rücken hinunter und ihm wurde kalt. Dieser Mann war ihm seltsam bekannt…
Ein Déjà-vu?
Egal jetzt!
Er musste die Welt von nun an vor Gefahren retten… wo auch immer diese sein mochten.

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